Referent: Dr. Ingo Motzenbäcker, DAI, Eurasienabteilung, Berlin
Mittwoch, den 07. Februar 2001
Zwischen der georgischen Schwarzmeerküste und oberem Terek ist aus der späten Bronze-bis frühen Eisenzeit (ca. 14.-6. Jh. v. Chr.) eine stattliche Anzahl von Bronzefunden aus Gräbern, Siedlungen und Horten vorhanden, die aus forschungsgeschichtlichen Gründen bis in die jüngste Vergangenheit zwei verschiedenen Kulturen – der Kolchis-Kultur in Westgeorgien und der Koban-Kultur in Zentral- und Nordkaukasien – zugeordnet worden sind.
Der Begriff Koban-Kultur ist dabei forschungshistorisch der ältere. Er leitet sich von Gräberfeldern beim Aul Koban, Nordossetien, im nördlichen Hochgebirgskaukasus unweit der Georgischen Heerstraße gelegen, her und wurde 1881 von dem berühmten Berliner Arzt und Anthropologen Rudolf Virchow geprägt. Virchow hatte am Fundort selbst Ausgrabungen vorgenommen und seine Ergebnisse bald dem europäischen Fachpublikum präsentiert. Aufgrund der reichen Metallbeigaben in den Gräbern und einer vermuteten ähnlichen Zeitstellung hatte man Koban auch das „Hallstatt des Ostens“ genannt.
Die in der Folgezeit (bis heute) durchgeführten Ausgrabungen in den Gebirgstälern zwischen den Zu- und Quellflüssen von Kuban im Westen und Terek im Osten förderten ähnliche Funde zutage, so daß der Begriff „Koban-Kultur“ zu einem feststehenden Terminus in der nordkaukasischen Archäologie wurde.
Als charakteristische Merkmale dieser Kultur sind zu nennen: in der Regel Bestattungen (auch von mehreren Individuen) in Steinkistengräbern, ausgestattet mit reichen Waffen- bzw. Schmuckbeigaben aus Bronze, wovon hier die häufig mit Gravurornamenten verzierten, s-förmig gebildeten Äxte sowie mannigfaltigen plastisch gestalteten Tierfiguren hervorgehoben werden sollen. Weitere Merkmale (insbesondere Bogenfibeln) erinnerten in der Tat an Formen spätbronze- und früheisenzeitlicher Kulturen in den Donauländern, so daß man sogar an eine Einwanderung danubischer Stämme dachte, die zu einer „Hallstattisierung“ Nordkaukasiens geführt habe.
Mit der zunehmenden archäologischen Erforschung Westgeorgiens, der antiken Kolchsi, ab den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, gelangten Hunderte von Hortfunden ans Tageslicht, die einerseits Bronzegegenstände enthielten, welche denjenigen aus der Koban-Kultur stark ähnelten, andererseits aber auch Geräte, die aus dem Norden nicht bekannt waren. Ähnlichkeiten in der Ornamentik führten schnell zur Erkenntnis, daß man es hier mit verwandten und gleichzeitigen kulturellen Phänomenen zu tun haben müsse. Da aber diese Hortfunde wie auch Siedlungen mit entsprechenden Funden nur in dem festumrissenen geographischen Raum Westgeorgien festgestellt werden konnten, wählte man die Bezeichnung „Kolchis-Kultur“ für diese Erscheinung. Der „Reichtum“ dieser Kultur und ihr Verbreitungsgebiet (Schwarzmeerküste und Hinterland) führten zur (noch nie durch eindeutige Funde bewiesenen) Annahme, daß hinter der Argonautenfahrt eine tatsächliche Unternehmung mykenischer Seefahrer im Schwarzen Meer gestanden haben könnte.
Ob es sich hier tatsächlich um zwei „Kulturen“ handelt, wird aufgrund folgender Überlegungen diskutiert: 1.) die verschiedenen archäologischen Quellen sind ungleichmäßig verteilt: im Norden (Koban-Kultur) überwiegen eindeutig Grabfunde, im Süden (Kolchis-Kultur) Horte und Siedlungen; 2.) auffallende Ähnlichkeiten bei bestimmten Gerätetypen und Zierweisen sind nachgewiesen 3.) Bergbau und Metallverarbeitung könnten zu einer Vereinheitlichung in bestimmten Kulturbereichen geführt haben. Der Vortrag hat sich somit zur Aufgabe gestellt, diese Aspekte sowie die Frage nach der Entstehung dieser Kultur(en) zu diskutieren.